Expedition patagonisches Inlandeis 2009

ott 21

Dispatch #15

Published at 00:38
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Die Augen suchen den Weg, die Füße gehen ihn, doch in mein Bewußtsein
dringt dieser Vorgang nicht. Die Gedanken können umherschweifen.

Die Menschen hassen es, all ihres Komforts beraubt zu sein. Es ist viel
mehr so, dass sie ein starkes Bedürfnis entwickelt haben, immer mehr
davon anzuhäufen. Denn ohne ihn ist alles anstrengend und schwierig,
schon ganz und gar, wenn wir in einer rauhen und unbarmherzigen Umwelt
bestehen müssen. Wir zwei hier in Patagonien können inzwischen ein Lied
davon singen. Aber das eigentliche Problem ist das gar nicht. Die
Unsicherheit ist es, die einen hier so erschüttert. Was kommt? Das
ist die alles entscheidende Frage. Hinter jedem Hügel, im nächsten Tal,
nach dem Aufschwung lauert neue Ungewissheit. Und die ist unserem
menschlichen Charakter zuwider. Denn er liebt das Gewohnte, das
Berechenbare.

Bild imzelt: Georg ist berechenbar. Er ist unerschütterlich in seinem
Selbstverständnis. Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden. Er ist
hier in seinem Element.

Eine andere Quelle von Unsicherheit ist das Angewiesensein. Schon allein
die Vorstellung, sich hier zu verletzen, macht mich ganz krank. Von der
körperlichen Unversehrtheit hängt alles ab. Aber nicht nur davon! Ein
gebrochener Ski bedeutet womöglich das Ende der Expedition. Jedes Detail
muss hundertprozentig halten und funktionieren. Wir haben so wenig
Ausweichmöglichkeiten, dass ein funktionsuntüchtiges Ausrüstungsteil, wenn
es nicht mehr zu reparieren ist, häufig ein Totalverlust darstellt. Bei uns
geht das auch schon los. Meine Fototasche geht nicht mehr zu. Vor zwei Tagen
ist meine Kamera so naß geworden, dass sie vorübergehend den Dienst
verweigert hat. Bei Georg ist der Hüftgurt von Rucksack zerbrochen. Und
gestern ging plötzlich das Netbook nicht mehr. Deshalb gab es auch keine
News. Heute geht er wieder, wie man sieht :-)

Diese Ungewissheit und die Unsicherheit die uns hier so fordern und
zusetzen, sind sozusagen die psychische Komponente, die körperliche
Anstrengung die physische. Kommt beides zusammen, dann erlebt man
vielleicht gerade ein Abenteuer.

Da wir gerade bei der physischen Komponente waren. Irgendwie hatte ich eine
völlig falsche Vorstellung vom Pulkaziehen. Steigt der Hang nur 20 Grad an
und ist der Schnee tief und nass, so wie hier gerade, wird das Pulkaziehen
zu einer ungeheuren Anstrengung.

Bild zieh: Keinen Zentimeter ging es mehr weiter. Oft schaffen wir es nur
mit vereinten Kräften, unsere Pulkas von der Stelle zu bewegen.

Heute hatten wir mit einem ganz typischen Problem zu kämpfen, dass ich auch
vom Himalayabergsteigen kenne: Dem white out. Wenn es über Schneefeldern
neblig ist oder dichter Schneefall herrscht, dann verschimmen die Konturen,
es gibt keinerlei Kontraste mehr, alles um einen herum ist nur noch weiss!
Selbst was direkt vor uns war, konnten wir nicht erkennen. Entweder haben wir
wie Blinde mit unseren Skistöcken getastet oder Schneebälle geworfen. Dort wo
der Schneeball auftrifft, gibt es eine Unebenheit im Schnee, die wir dann
erkennen konnten und nun wußten, ob es aufwärts oder hinunter geht. Das
Gelände in dem wir unterwegs sind, ist nämlich alles andere als eben. Überall
sind Spalten, Senken, manchmal 20 m tief oder ebenso hohe Aufschwünge. Oft
geht es senkrecht runter. Schlecht, wenn man dann gerade nichts sieht.

Bild umgefallen: Ganz klassische Situation heute. Ich hab den kleinen Absatz
einfach nicht gesehen und schwupp lag die Pulka unten und hat mich natürlich
umgerissen. Bei dieser Gelegenheit geht schnell mal das Zuggestänge kaputt.

Trotz der oft schwierigen Bedingungen und des andauernd schlechten Wetters
kommen wir verhältnismäßig gut voran. Gestern waren es 5,0 und heute 5,5
Kilometer Luftlinie. Das macht insgesamt 23,4 Kilometer seit Beginn der Tour
vor sechs Tagen. Wir sind sehr zufrieden mit uns, dementsprechend gut ist auch
die Stimmung. Wir beide verstehen uns fast wortlos, bisher gab es keinerlei
Unstimmigkeiten. Die Aufgaben sind streng aufgeteilt. Georg hat schon
Feierabend, ich leider noch nicht ganz.

Vor uns liegt nun eine 500 Meter hohe Rampe, vor der es mir sehr graust. Seit
dem uns Aliro mit seinem Bootchen abgesetzt hat, sind wir 700 Meter
aufgestiegen. In den nächsten beiden Tagen werden es fast noch einmal soviele
Höhenmeter. Wir brauchen also eine Menge Kraft. Was wir aber vor
allem nötig haben, ist: Mehr Sicht!

_________________________

I became kind of philosophic today but within the last two days I had a lot of time to think. Your eyes are looking for the way, your feet are following this way but the whole act dos not come to my consciousness. The thoughts are moving around.

I was thinking about us out here in the rough and unmerciful nature. But this is not really the problem: it’s the feeling of insecurity. What is coming next behind this valley, this hill? Nothing is predictable. Can we go there, can we make it?
The next thing is the dependency from “things”: from the physical strength of your body or from the function of our gear. You just need to hurt yourself by twisting your angle and the whole expedition is over. Same thing if one of the skies break … we just don’t have any backups for that and it might be impossible to fixed it. It’s a thin line …
Example: My camera bag is not closing properly anymore, so my camera got totally wet and did’nt work temporarily. Georg’s hip belt from the bag pack broke … and yesterday our netbook gave up … that’s why we could not post anything … it works again as you can see - thanks to „somebody“
But this is part of our expedition. Combined with the physical strenuousness the whole thing is called „ADVENTURE“!

If we speak about physical strenuousness: Before this trip I really had a different imagination about pulling a pulka. It is unbelievable hard to pull this damn thing if the snow is wet and slushy and you have to go uphill …

And today we had another “problem”: the white out. As it says, you don’t see anything but white, it’s like being blind. This is really dangerous especially if you walking in terrain which is absolutely not even.
Despite of the bad visibility conditions and the really bad weather we are moving forward really good: we made 5 km yesterday and 5,5 km today. Total distance since we left 6 days ago: 23,4 km.
We are satisfied with our achievement. And Georg and I are working as a perfect team, no trouble at all.

Tomorrow we have to climb up a ramp with a 500 meter altitude difference. This is gonna be really tough. And we will definitely need more visibility.

Picture top left: Georg takes it like a duck to water: He likes challenges and challenges have to overcome
Picture top right: I fell and the pulka took me down hill. Luckily nothing broke
Picture buttom left: Sometimes it’s just impossible to move forward, often we both have to pull the pulka
  • Name: 3. Camp_auf_dem_ Eis
  • Elevation: +700 m
  • Latitude: 48° 2552South
  • Longitude: 73° 3442West

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